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Die Schlußanträge des Generalanwalts Phillipe Léger zur Vorlageentscheidung des LG Bochum an den EuGH in der Streitsache Schulte/Badenia (C-350/03; 1 O 795/02)
Was vor Steuern nichts taugt, ist auch nach Steuern nichts wert. | ||
Sprichwort |
White I. Der Fall Vor dem LG Bochum streiten W. und E. Schulte als Vollstreckungsgegenkläger (nachfolgend als Kläger bezeichnet) und die Badenia AG (Tochtergesellschaft der AMBGenerali, viertgrößte deutsche Bausparkasse, nachfolgend als Beklagte bezeichnet) als Vollstreckungsgegenbeklagte darüber, ob die Kläger ein von der Beklagten ihnen gewährtes Darlehen zurückzahlen müssen. Das Darlehen war für den Erwerb einer sanierten Sozialwohnung an deren Veräußerer ausgezahlt worden. Die Rückzahlung dieses Darlehens sollte über zwei gleichzeitig abgeschlossene Bausparverträge erfolgen. Die Kläger sollten nicht zuletzt Steuern sparen. Die Kläger haben ihre Willenserklärung zum Darlehensvertrag mittlerweile widerrufen (nachfolgend wird zur sprachlichen Vereinfachung vom Widerruf des Kreditvertrages die Rede sein). Sie stützen ihr Widerrufsrecht auf § 1 HaustürWG (heute § 312 BGB ). Der Kreditvertrag sei in einer Haustürsituation geschlossen worden. Dies wird von der Beklagten, die den Dahrlehensvertrag wegen Zahlungsverzugs gekündigt hat, bestritten. Das LG Bochum hat diese Tatsachenfrage noch nicht abschließend geklärt. Bejaht man die Haustürsituation, stellt sich die Frage, welche Folgen der Widerruf des Kreditvertrages für das Immobiliengeschäft hat. Die durch das LG Bochum in der Streitsache dem EuGH i.S.d. Art. 234 EG-Vertrag vorgelegten Fragen lauten (verkürzt, vereinfacht): 1. Ist die Richtlinie 85/577 auf Immobilien-Kaufverträge anwendbar, die Bestandteil eines kreditfinanzierten Kapitalanlagemodells sind und bei denen die Vertragsverhandlungen insgesamt in einer Haustürsituation erfolgten? 2. Genügt eine nationale Auslegung, wonach der Verbraucher nur den Kreditvertrag, nicht auch das Immobiliengeschäft widerrufen kann, der von der Richtlinie 85/577 geforderten Effektivität des Verbraucherschutzes? 3. Wird der Schutzzweck der Widerrufsregelung der Richtlinie 85/577 verfehlt, wenn der widerrufende Verbraucher die Darlehensvaluta an die finanzierende Bank zurückzahlen muss, obwohl das Darlehen nach dem für die Kapitalanlage entwickelten Konzept ausschließlich der Finanzierung der Immobilie dient und unmittelbar an den Verkäufer der Immobilie ausbezahlt wird? 4. Wird der Schutzzweck der Widerrufsregelung der Richtlinie 85/577 verfehlt, wenn der widerrufende Verbraucher nach der Widerrufserklärung zur sofortigen Rückzahlung der bisher noch nicht getilgten Darlehensvaluta nebst deren marktüblicher Verzinsung verpflichtet ist?
II. Die Schlußanträge des Generalanwalts Philippe Léger [nach oben] 1. Die Fragen 1 und 2 Der Generalanwalt hat zunächst völlig zutreffend darauf hingewiesen, daß die Vorlage des LG Bochum unzulässig ist. Aus der Begründung zum Beschluß des LG Bochum ergibt sich eine naheliegende Möglichkeit, die Vorlage an den EuGH zu vermeiden und die aufgeworfenen Rechtsfragen zu beantworten. Dies setzt voraus, daß das LG Bochum eine Haustürsituation, die die Vollstreckungsgegenkläger vortragen, die von der Beklagten aber bestritten wird, verneint. In diesem Fall haben die Kläger das Darlehen infolge der Kündigung des Kreditvertrages durch die Beklagte zurückzuzahlen. Das Immobiliengeschäft bleibt unberührt. Beweispflichtig für die Haustürsituation (als Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 312 BGB [§ 1 HaustürWG]) sind die Kläger. Im Falle eines non liquet besteht folglich kein Widerrufsrecht. Kommt das Gericht zu diesem Ergebnis, ist die Richtlinie 85/577 nicht einschlägig, und der Fall kann unter Umschiffung der europarechtlichen Klippen entschieden werden. Solange diese Möglichkeit nicht ausgeschöpft ist, solange also nicht feststeht, daß der Fall mit einer bestimmten Auslegung von Gemeinschaftsrecht steht oder fällt, ist allein die Sicht des Generalanwalts akzeptabel. Der EuGH sollte über die Vorlage also keine Sachentscheidung treffen. Damit wäre nicht nur der angesichts der Weite der Zulassungsmöglichkeiten eher geringen Entlastungsfunktion der Verfahrensvorschriften Genüge getan. Es würde auch eine Entscheidung vermieden, die der in der Sache nicht überzeugenden Auffassung des Generalanwalts folgt. Offenbar selbst nicht so recht von der Unzulässigkeit der Vorlage überzeugt, hat sich der Generalanwalt nämlich hilfsweise in der Sache geäußert. Jene Äußerungen begegnen, nicht nur weil sie die treffenden Aussagen zur Zulässigkeit verwässern, Bedenken. Die ersten beiden Fragen hat der Generalanwalt entschieden, indem er sich am Wortlaut der Richtlinie 85/577 orientiert und dabei den Ausschluss von Immobiliengeschäften aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie bestätigt hat. Das kann man für richtig erachten, oder eben nicht.
2. Die Fragen 3 und 4 [nach oben] Nicht akzeptabel ist allerdings die unterschiedliche Behandlung der dritten und vierten Frage. Hier verweist der Generalanwalt nur noch auf die Unzulässigkeit, und äußert sich in der Sache auch nicht hilfsweise. Zum einen überzeugt die unterschiedliche prozessuale Behandlung der Fragen nicht. Fragen 1 und 2 werden offenbar als nur "einfach unzulässig" angesehen, mit der Folge ergänzender Erwägungen in der Sache, die Fragen 3 und 4 hingegen als "absolut unzulässig", weswegen hier zusätzliche Sacherwägungen fehlen. Da entsprechende Kategorien nicht bestehen, ist dem nicht zu folgen. Außerdem spricht das LG Bochum gerade in der dritten und vierten Frage ein Problem an, das so gewichtig ist, daß es der Generalanwalt, wenn er sich denn schon zur Sache eingelassen hat, hätte ansprechen müssen
a) Prozessuale Sicht [nach oben] Der Generalanwalt hat eine Befassung mit Fragen 3 und 4 abgelehnt, weil "diese beiden Fragen ... den Eindruck [erwecken], dass sie nur dazu dienen, den Gerichtshof auf die Folgen aufmerksam zu machen, die der Widerruf des Realkreditvertrags nach sich zöge, falls der Gerichtshof entschiede, dass dieser Widerruf keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Immobilienkaufvertrags habe." Man kann sich den Fragen 3 und 4 auf zweierlei Weise nähern: einmal, indem man, wie dies offenbar das LG Bochum selbst und die Parteien getan haben, Fragen 2 - 4 als einen Komplex auffaßt, der die deutsche Regelung/Rechtsprechung auf Gemeinschaftskonformität hin zur Überprüfung stellt. Dann sind Fragen 3 und 4 nicht mehr oder weniger abzuweisen als Frage 2. Oder man faßt die Fragen 3 und 4 als Folgefragen auf, die sich aus der Beantwortung der ersten beiden Fragen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts ergeben. Dann kann man sich daran erbauen, daß das LG Bochum mitgedacht und gemeinschaftsrechtliche Fragen, die sich im Falle einer bestimmten Entscheidung des EuGH stellen, sogleich mit nach Brüssel gesendet hat. Im deutschen Prozeßrecht kommt dieser Vorgehensweise am ehesten die Konstruktion der hilfsweisen Antragstellung nahe, also einem Antrag an das Gericht, den Fall auch dann auszujudizieren, wenn das hauptsächliche Begehren nicht wie ursprünglich beantragt verwirklicht werden kann. Dieses Zuendeentscheiden, das ganz wesentlich der Prozeßökonomie, und damit sowohl der Entlastung des Gerichts von einem weiteren Prozeß in dieser Sache als auch den Parteien dient, ist selbstverständlich auch auf die Vorlagefrage des LG Bochum hin geboten. Sonst, d.h. wenn der EuGH die Vorlagefrage nicht als unzulässig verwirft und im Sinne des Generalanwalts nur die ersten beiden Fragen beantwortet, erhalten das Landgericht und die Parteien Steine statt Brot: der Prozeß wird im Sinne der vom EuGH beantworteten Fragen kurz fortgeführt. Dem Intermezzo folgt eine weitere Unterbrechung und eine erneute Vorlage der Fragen 3 und 4. Der EuGH müßte sich mit den Fragen 3 und 4 sodann erneut befassen.
b) Die Sachfrage [nach oben] aa) Die effektive Gewährleistung des Widerrufsrechts beim Kreditvertrag Es wird aber auch ein in der Sache ganz wesentlicher Punkt angesprochen. Folgt man dem Generalanwalt, sind die Fragen 1 und 2 abschlägig zu beantworten. Die derzeitige deutsche Regelung bzw. Rechtsprechung ist gemeinschaftsrechtskonform. Der Immobilienerwerb kann nicht zusammen mit dem anfechtbaren Kreditvertrag rückgängig gemacht werden. Nur der Kreditvertrag kann aufgelöst werden, allerdings mit der Folge, daß die entliehene Summe zusammen mit den fälligen Zinsen umgehend zu begleichen ist. Die wertlose bzw. stark minderwertige Immobilie bleibt beim Kreditnehmer. Hier liegt das Problem, das mit der dritten Frage, nicht aber vom Generalanwalt angesprochen wird, und vom EuGH, wenn er denn in der Sache entscheidet, wird angesprochen werden müssen. Der Kreditnehmer steht nach dem Widerruf des Kreditvertrages schlechter da als ohne das Widerrufsrecht bzw. dessen Ausübung. Ihm bleibt die minderwertige und kostenstiftende Immobilie, und er muß den Kredit sofort zurück- sowie zusätzlich angemessene Zinsen zahlen. Bei einem derartigen Widerrufsrecht haben die allermeisten Betroffenen gar keine andere Wahl, als auf die Ausübung ihres Rechts zu verzichten. Mehr noch: gerade die wirtschaftliche Situation von Anlegern, die die Immobilie über einen mit dem Erwerb notwendig zusammenhängenden, weil ohne ihn niemals gewährten Kredit finanzieren, erlaubt es nicht, den Kredit en bloc sofort zurückzuzahlen. | White white Inhaltsübersicht: | |
iQ: die Verzweiflung, die für manchen Eigentümer mit dieser Situation verbunden ist, zeigt auch der Fall einer jungen Krankenschwester. Diese hatte von der Badenia eine Schrott-Immobilie erworben. Die Rückabwicklung des Geschäfts scheiterte. Die Krankenschwester beging Suizid. Der Anwalt der Hinterbliebenen macht die Badenia für den Suizid verantwortlich. Weitere vier ähnliche Vorwürfe stehen im Raum. | ||
Vor dem OLG Karlsruhe war eine Klägerin mit ihrem Schadensersatzbegehren gegenüber der Badenia mittlerweile erfolgreich, siehe dazu die Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 25. November 2004. | ||
Ein Anleger aus Magdeburg hat inzwischen gegen den 11. Zivilsenat des BGH Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gestellt, SZ vom 18./19. 12. 2004, S. 24. | ||
Kommentare von Betroffenen finden Sie hier. | ||
Hier besteht eine prohibitive Schwelle für die Ausübung des Rücktrittsrechts beim Kreditvertrag. Weil die Immobilie in der das Geld aus dem Darlehen steckt nicht zurückgegeben, der Kredit nebst Zinsen aber sofort vollständig getilgt werden muß, kann das Widerrufsrecht nicht ausgeübt werden. Es besteht eine subjektive wirtschaftliche Unmöglichkeit. Ein Verkauf der Immobilie, d.h. eine Verflüssigung derselben zur Erlangung der für die Rückzahlung des Kredites notwendigen Barmittel, scheitert regelmäßig nicht nur daran, daß die Immobilie weniger wert ist als angenommen, sondern schon deswegen, weil sie praktisch unverkäuflich ist, wie auch die Bezeichnung Schrott-Immoblie deutlich macht. Außerdem verbleibt selbst im erfolgreichen Verkaufsfall zum ursprünglich vereinbarten Preis die Belastung des Verbrauchers mit den an die Bank zu zahlenden angemessenen Zinsen. Die Beeinträchtigung des Widerrufsrechts läßt sich durch einen Rückgriff auf den Wortlaut der Richtlinie 85/577/EWG nicht rechtfertigen. Zwar sieht dieser Wortlaut eine direkte Einbeziehung von Immobiliengeschäften in den sachlichen Schutzbereich der Richtlinie nicht vor. Ganz im Gegenteil werden solche Geschäfte explizit ausgeschlossen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Reduktion des durch die Richtlinie vorgesehenen Schutzniveaus gerechtfertigt ist, nur weil (auch) eine Immobilientransaktion im Spiel ist. Der Generalanwalt führt aus (Nr. 92): "Wie bereits festgestellt, sind ... die Vorschriften der Richtlinie, auch soweit sie ein Widerrufsrecht vorsehen, ... nicht auf Immobilienkaufverträge anwendbar. Wie ebenfalls bereits festgestellt, würde der Zweck der Richtlinie, d. h. der Verbraucherschutz, dagegen eine andere Auslegung erfordern, die es in irgendeiner Form ermöglicht, dass der Widerruf des Realkreditvertrags auf die Gültigkeit des Immobilienkaufvertrags durchschlägt. Es besteht daher ein gewisser Widerspruch zwischen dem Wortlaut der Richtlinie und dem mit ihr verfolgten Zweck." (Nr. 93): "Wie ich in der Rechtssache Schilling und Nehring ausgeführt habe, ist ein derartiger Widerspruch ... im Licht des Grundsatzes der Rechtssicherheit zu lösen. Nach diesem Grundsatz, bei dem es sich um ein fundamentales Prinzip der Gemeinschaftsrechtsordnung handelt, müssen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften klar und ihre Anwendung für alle Betroffenen vorhersehbar sein." Das bedeutet, daß der Generalanwalt den ausdrücklichen Ausschluß des Widerrufsrechts bei Immobilienkaufverträgen lediglich dem allgemeinen Zweck des umfassenden Verbraucherschutzes gegenüberstellt. Dies ist aber verfehlt, wie gerade die Fragen 3 und 4 des LG Bochum deutlich machen. Es geht eben nicht nur um das allgemeine Schlagwort des Verbraucherschutzes oder die ebenfalls starke Abnutzungserscheinungen aufweisende Devise vom effet utile. Was der Generalanwalt übersieht, ist, daß das Widerrufsrecht in Bezug auf den Kreditvertrag, das in der Richtlinie festgelegt ist, durch die angesichts des wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen beiden Geschäften fast schon aberwitzig anmutende getrennte Betrachtung von Kredit- und Immobiliengeschäft entwertet wird. Damit ist nicht nur "der Verbraucherschutz" und damit das "allgemeine das Ziel der Richtlinie" betroffen. Es geht nicht um große, allzuoft hohl tönende und deshalb zu Recht mit Argwohn betrachtete Parolen. Beeinträchtigt, ja entwertet wird das Widerrufsrecht selbst, und damit ganz konkret in Art. 2 der Richtlinie vorgesehener Verbraucherschutz. Dieses Schutzrecht, Kern, ja Zellkern der Richtlinie, kann nicht einfach mit dem Hinweis auf das Prinzip der Rechtsklarheit ausgehebelt werden. Der Generalanwalt packt das Problem einseitig an, und dabei von der falschen Seite: Er fragt, den Ausschluß von Immobiliengeschäften aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie vor Augen, ob dieser Ausschluß bedeute, daß das wirtschaftlich mit dem Kreditvertrag verbundene Immobiliengeschäft rechtlich unberührt bleibe. Diese Perspektive des Generalanwalts, die zu einer Beschränkung des Verbraucherschutzes führt, ist ungeeignet. In erster Linie ist nämlich nicht danach zu fragen, wie weit der Ausschluß des Schutzes geht, sondern danach, wie weit der Schutz reichen soll. Grundlage der Betrachtung muß die Feststellung sein, daß der Verbraucher den Kreditvertrag, wenn und weil eine Haustürsituation vorlag, widerrufen können soll. Sein Widerrufsrecht muß effektiv sein, d.h. der betroffene Verbraucher muß die Chance haben, das Widerrufsrecht auszuüben. Daß dem Verbraucher in Bezug auf des Immobiliengeschäft als solches kein Widerrufsrecht zukommt, ist von dieser Gewährleistung des Schutzrechts zunächst zu trennen. Stellt man nun die beiden Aussagen (Widerrufsrecht beim Kreditvertrag; kein Widerrufsrecht beim Immobiliengeschäft) getrennt dar, ist zuallererst zu prüfen, ob der Verbraucher sein Widerrufsrecht effektiv ausüben kann. Kommt man zu der Auffassung, daß der bloße Widerruf des Kreditvertrages den Verbraucher i.S.d. Richtlinie effektiv schützt, daß also der Widerruf des Kreditvertrages genügt, bleibt das Immobiliengeschäft unberührt. Kommt man aber zu dem Ergebnis, daß der bloße Widerruf zu nichts führt, daß der Verbraucher stattdessen infolge der unmittelbaren Fälligkeit der Rückzahlung des Kredites samt Zinsen sogar schlechter steht als ohne Ausübung des Rücktrittsrechts, ist nach Wegen zu fragen, wie der Schutz, den das Widerrufsrecht bieten soll, erreicht werden kann. Im hier besprochenen Fall führt der Widerruf nur des Kreditvertrages nicht weiter, weil das Geld aus dem Darlehen in der Immobilie steckt, dort aber nicht "herausgeholt" werden kann, und gleichzeitig als Folge des Widerrufs das Darlehen zurückgezahlt werden muß. Einziger Ausweg aus diesem Dilemma ist, dem Verbraucher auch die Befreiung vom Immobiliengeschäft zu ermöglichen. Denn nur wenn der Verbraucher sich der Immobilie entledigen und das Geschäft damit insgesamt von sich schieben kann, wird er durch das Widerrufsrecht so gestellt, wie er durch die Richtlinie gestellt werden soll, nämlich als hätte er das Geschäft nicht abgeschlossen. Dem steht auch der prinzipielle Ausschluß des Widerrufsrechts bei Immobilien nicht entgegen, denn dieser bedeutet nicht, daß das Widerrufsrecht hinsichtlich des Kreditvertrages erschwert werden darf. Es hieße, aus diesem Ausschluß ein so vom Richtlinien-Gesetzgeber weder beabsichtigtes noch in dieser Intensität normiertes Dogma zu machen, wollte man überall dort, wo ein Lebenssachverhalt ein Immobiliengeschäft einschließt, die effektive Gewährleistung des Widerrufsrechts für die anderen Verträge schleifen lassen. Genau das ist aber auf Basis der derzeitigen Auffassung (Kreditvertrag kann widerrufen, muß aber sofort samt Zinsen zurückgezahlt werden; Immobilienerwerb bleibt unberührt) der Fall. Effet utile wird ins Deutsche herkömmlich mit "praktische Wirksamkeit" übersetzt. Dieser Ausdruck hat eine seltene Häßlichkeit für sich. Im Zusammenhang aber paßt er haargenau. Bleibt das Immobiliengeschäft unberührt, ist das Widerrufsrecht beim Kreditvertrag für den Verbraucher weder praktisch, noch als Schutzrecht wirksam. Zur Rechtfertigung der erweiterten Wirkung des Widerrufs im deutschen Recht ist im Zuge der Entscheidung Heininger wahrlich genug geschrieben worden. Hier soll noch kurz ein deutscher Rechtsgedanke für die europäische Sicht dargelegt werde. Im deutschen Recht gibt es das "Abfärben" bzw. "Durchschlagen" der Unwirksamkeit eines Vertrages auf einen zwar rechtlich unabhängigen, und daher eigentlich wirksamen Vertrag, wenn dieser Vertrag mit dem unwirksamen Vertrag eine wirtschaftliche Einheit bildet. So kann z.B. die Übereignung bei Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages trotz Geltung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips unwirksam sein, wenn und weil beide Geschäfte eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dabei geht es nicht nur um eine wirtschaftliche Betrachtung, die die rechtliche, streng trennende Betrachtung im Einzelfall überlagert. Es geht auch darum, dem Betroffenen die Durchsetzung seiner Rechte zu erleichtern. Genau diese beiden Prinzipien, Rechtsverwirklichung und wirtschaftliche Betrachtung, sprechen gegen die Sicht des Generalanwalts, und für ein "Durchschlagen" des Widerrufs des Kreditvertrages auf den Immobilienerwerb. Wie oben dargelegt, ist die Rechtsverwirklichung für den Erwerber der kreditfinanzierten Immobilie dann praktisch ausgeschlossen, also das Recht entwertet und damit der Schutzzweck der Richtlinie torpediert, wenn er nicht auch die Immobilie weggeben kann. Und diese Entwertung des Widerrufsrechts und Vereitelung des Schutzzwecks der Richtlinie wiegt schwerer als der mit (vermeintlich) mangelndem Schutzbedürfnis begründete Ausschluß von Immobiliengeschäften aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Auch die wirtschaftliche Betrachtung führt zu der Erkenntnis, daß Kreditvertrag und Immobilienerwerb beim Abschluß des Geschäfts miteinander stehen und fallen. Weder wäre der Immobilienerwerb ohne die Kreditgewährung jemals erfolgt, noch wäre der betreffende Kredit ohne das Immobiliengeschäft jemals abgeschlossen worden. Jedes der rechtlich voneinander unabhängigen Rechtsgeschäfte ist conditio sine qua non des anderen, und dies im allseitigen Einvernehmen der Beteiligten. Wenn nun im Falle des Widerrufs des Kreditvertrages nur ein Teil des wirtschaftlichen Lebenssachverhaltes rückgängig gemacht werden kann, überzeugt dies nicht; schon gar nicht, wenn diese Sicht mit dem Argument der Rechtssicherheit begründet wird, denn das heißt, daß einer der Initiatoren und Profiteure des Finanzierungsmodells, der Veräußerer der Schrott-Immobilie, der das Objekt ohne das Finanzierungs- und Steuersparmodell kaum jemals (zu dem i.R. dieses Modells vereinbarten Preis) losgeworden wäre, geschützt werden muß.
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bb) Gehören Steuersparer bestraft? [nach oben] Der wirtschaftlichen Betrachtung steht auch nicht etwa entgegen, daß es sich bei der kreditfinanzierten Immobilie um ein Steuersparmodell handeln sollte. Vielmehr macht die wohl bei allen drei Beteiligten (Veräußerer, Finanzierer, Erwerber) bestehende gemeinsame Sicht auf die Anlage als Steuersparmodell noch einmal deutlich, wie sehr sämtliche abgeschlossenen Verträge miteinander verknüpft sind. Auch insoweit fehlt auf seiten des Immobilienveräußerers die Schutzwürdigkeit als Basis für das Fortbestehen des Immobiliengeschäfts. Er wußte von der Kreditfinanzierung ebenso wie vom Zusammenhängen sämtlicher Verträge. Er hätte seine Immobilie, jedenfalls zu den für ihn günstigen Bedingungen, auf andere Weise kaum jemals an den Mann gebracht. Es wäre also nur konsequent, wenn auch der Immobilienerwerb rückgängig gemacht werden könnte, und Veräußerer und Finanzierer sich auseinandersetzen müßten. Die Sicht des Generalanwalts führt dagegen zu einer unverhofften Haftungsfreistellung der Initiatoren des Finanzierungsmodells. Das überzeugt nicht. | ||
iQ: das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (heute Bafin) hatte seinerzeit ein Gutachten bei einer Wirtschaftsprüfergesellschaft in Auftrag gegeben, das zu dem Schluß kam, daß die Verkaufspreise systematisch überhöht, die Objekte zu hoch bewertet und die Verkaufsmethoden fragwürdig gewesen seien. Das Gutachten führte zur Abberufung des damaligen Badenia-Finanzvorstandes (dem verschiedentlich auch noch vorgeworfen wurde, über ein eigenes Unternehmen an den Schrott-Immobilien verdient zu haben). | ||
Wenn aber gutachterlich belegt ist, daß die dem Verbraucher gegenüberstehenden und von seinem umfänglichen Widerrufsrecht belasteten Parteien sich höchst fragwürdig verhalten haben, wird die Haftungsfreistellung geradezu unverständlich. | ||
Natürlich kann man der Auffassung sein, daß die (zu) geizigen Steuersparer bestraft gehören. Ob dies wirksam geschehen kann, wenn man diejenigen entkommen läßt, die die Steuersparmodelle ent- und auf den Markt werfen, ist schon sehr fraglich. Jedenfalls aber ist diese Disziplinierung der Steuerzahler eine Aufgabe, die bei der Anwendung einer Verbraucherschutz-Richtlinie weder der Generalanwalt noch der EuGH wahrzunehmen haben. Mit entsprechendem Gedankengut befaßt sich stattdessen das (nationale) Steuerrecht.
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3. Die Unzulässigkeit der vertikalen Wirkung von Richtlinien [nach oben] Für die Sicht des Generalanwalts, also die Unzulässigkeit der Vorlage könnte noch die Unzulässigkeit einer vertikalen Wirkung der Richtlinie sprechen. Eine solche Wirkung wäre gegeben, wenn der Staat die Richtlinie falsch umgesetzt hätte, wenn also heute §§ 312 f. BGB dem Verbraucher zu wenig Rechte einräumen würden. Bank und Immobilienveräußerer wären dann davor geschützt, entsprechend der Richtlinie in Anspruch genommen zu werden. Der Verbraucher hätte einen Schadensersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn § 358 BGB (§ 9 VerbKrG) nicht anwendbar ist, besteht eine solche vertikale Wirkung auf Basis hier vertretenen Auffassung nicht. Im deutschen Recht geht es um die effektive Verwirklichung des Widerrufsrechts aus § 312 BGB. Es wird also nicht eine den Beteiligten möglicherweise unbekannte, jedenfalls an die Parteien nicht adressierte und sie daher nicht unmittelbar verpflichtende Richtlinie angewendet, sondern deutsches Zivilrecht. Wenn nun einem national normierten Widerrufsrecht dadurch zur Wirksamkeit verholfen wird, daß der Widerruf über die ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen Folgen hinaus Wirkungen zeigt, erfolgt keine Fehladressierung einer Norm, der Richtlinie, sondern es wird nationales Gesetzesrecht angewendet. Durch die Regelung im BGB ist das Widerrufsrecht zu deutschem Verbraucherschutzrecht geworden. Muß dieses deutsche Schutzrecht nun, um als im BGB geregeltes Widerrufsrecht wirksam zu sein, wirtschaftlich verbundene Sachverhalte erfassen, hat dies mit vertikaler Wirkung von Richtlinien nur sehr entfernt zu tun. Es geht schlimmstenfalls um eine Auslegung des BGB im Lichte des Europarechts. Wenn diese Auslegung zu dem Ergebnis führt, daß Kreditgeber und Immobilienveräußerer Nachteile hinnehmen müssen, ist dies sowohl aus Sicht des BGB als auch aus Sicht des Gemeinschaftsrechts durchaus akzeptabel. Im Zusammenhang ist auch das Urteil des EuGH (C-397/01) vom 5. 10. 2004 zu beachten. Darin hat der EuGH das vorlegende Arbeitsgericht i.E. dazu angehalten, einen Tarifvertrag entgegen dessen Wortlaut "auszulegen", um damit der Richtlinie zur Geltung zu verhelfen. Dies kann man im hier vertretenen Sinn verstehen, oder aber als Aufgabe des Verbots vertikaler Wirkung von Richtlinien. In jedem Fall spricht dieses Verbot nicht (mehr) gegen die umfassende Wirkung des Widerrufs.
III. Schluß [nach oben] Dem EuGH ist zu raten, dem Plädoyer des Generalanwalts zu folgen, soweit dieser die Zurückweisung der Vorlage wegen Unzulässigkeit vorschlägt. Wenn der EuGH den formellen Erwägungen des Generalanwalts nicht folgt, also in der Sache entscheidet, wird er bei der Argumentation tiefer schürfen, und die effektive Durchsetzung des Widerrufsrechts beim Kreditvertrag thematisieren müssen. Für diesen Fall darf eine Entscheidung i.S.d. geprellten Anleger, anders als dies häufig vertreten wird, keinesfalls als ausgeschlossen gelten. | ||
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