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Das Halbeinkünfteverfahren

Disclaimer


Die Unkenntnis der Steuergesetze befreit nicht von der Pflicht, Steuern zu zahlen; die Kenntnis dagegen häufig.










  • Das Halbeinkünfteverfahren (HEV) wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt.


  • Die Umstellung vom Anrechnungsverfahren auf das HEV diente verschiedenen Zwecken. Die „Strategieanfälligkeit“ des Anrechnungsverfahrens sollte durch die definitive Erhebung der Körperschaftssteuer (KSt) bei der Kapitalgesellschaft (klassisches KSt-System) beendet und im Gegenzug der Anteilseigner entlastet werden (altdeutsch: Shareholder-Relief-System). Der Unterschied in der Besteuerung zwischen in der Kapitalgesellschaft belassenen und an die Anteilseigner ausgeschütteten Erträgen (Reduzierung der KSt von 40 auf 30 % bei Ausschüttung) sollte im Sinne der Stärkung des Betriebskapitals aufgehoben werden. Die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen sollte den Erfordernissen des Europarechts angepasst werden (Kapitalverkehrsfreiheit + Niederlassungsfreiheit, Verkooijen-Entscheidung des EuGH).

  • Dem HEV unterfallen Einkünfte aus Aktien, GmbH-Anteilen, Genossenschaftsanteilen, und bestimmten Genussrechten, und zwar gemäß § 3, Nr. 40, lit a - j EStG (offene oder verdeckte) Dividenden sowie Dividenden ersetzende Entgelte oder Vorteile, Einnahmen aus Betriebsveräußerungen, Veräußerungserlöse aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft binnen einem Jahr nach dem Erwerb oder - ohne zeitliche Begrenzung - aus einer mehr als 1-prozentigen Beteiligung, Erlöse aus der isolierten Veräußerung von Dividenden- und Zinsforderungen, bestimmte wiederkehrende Bezüge, die durch eine beschränkt körperschaftssteuerpflichtige Person gezahlt werden.

  • Im bisher geltenden Anrechnungsverfahren wurde der individuelle Einkommenssteuersatz auf die gesamten Kapitaleinkünfte angewendet. Im Gegensatz zum HEV wurden dabei die gezahlte Körperschaftssteuer auf die Einkommenssteuer (ESt) angerechnet (siehe Tabelle 2, mittlere Spalte).

  • Im HEV spielt die Körperschaftssteuer keine Rolle mehr. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen berechnen sich aus dem Betrag, der nach Zahlung der (auf 25% abgesenkten) Körperschaftssteuer (+SolZ) an den Anteilseigner ausgezahlt wird. Die Körperschaftssteuer wurde mit dem HEV „entindividualisiert“. Es wurde de facto eine Mindestbesteuerung eingeführt.

    Als Ausgleich für die weggefallene Anrechnung wird nur noch der halbe ausgezahlte Betrag als Einkommen angerechnet. (Daher kommt der Begriff „Halbeinkünfteverfahren“. Ist der Empfänger des Kapitalertrages selbst eine Kapitalgesellschaft, wird die Doppelbesteuerung gem. § 8b Abs. 1, S. 1 KStG durch die Steuerfreiheit der Dividende beim Auszahlungsempfänger erreicht.)

    Das Verfahren der hälftigen Besteuerung erscheint auf den ersten Blick großzügig.

    So wird z.B. der Sparerfreibetrag faktisch verdoppelt. Statt bisher 1.601 EUR sind wegen der hälftigen Anrechnung numehr 3.202, bzw. für Ehegatten 6.404 EUR an Einkünften aus Kapitalvermögen steuerfrei.

    Tatsächlich ist das HEV aber teilweise ungünstiger, und zwar...

    ... wenn mit den Kapitaleinkünften Ausgaben verbunden sind. Gemäß § 3 c Abs. 2 EStG sind nämlich Werbungskosten, die in (einem wirtschaftlichen) Zusammenhang mit nach § 3 Nr. 40 EStG steuerfreien Einnahmen stehen, nur noch zur Hälfte abziehbar (siehe dazu BMF-Schreiben vom 12. Juni 2002, BStBl. I 2002, 647).

    ... wenn der Steuerpflichtige einem geringen Einkommenssteuersatz unterliegt.

  • Es wird daher vertreten, dass sich das HEV bei einem Einkommenssteuersatz < 40 % negativ auswirkt. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit:

    1. Die Berechnung basiert auf der Tatsache, dass die Belastung mit Körperschaftssteuer i.H. 25 % des Kapitalertrages und Kapitalertragssteuer i.H. 20 % der Ausschüttung zu einer Gesamtbelastung i.H. 40 % des Kapitalertrages führt. Schon dieser Ausgangspunkt ist ungenau, weil zzgl. zur und auf die KSt ein eigener, dem Anteilseigner nicht mehr angerechneter SolZ erhoben wird. Damit beträgt die Belastung insgesamt nicht 40 %, sondern 41,1 %. Folglich dürfte sich das HEV erst ab einem Steuersatz von 41,1 % positiv auswirken.

    2. Zwar ist es richtig, dass das HEV für Anleger mit einem persönlichen Einkommenssteuersatz im untersten Bereich absolut ungünstiger ist, weil sie die Körperschaftssteuer und den darauf entfallenden SolZ nicht mehr angerechnet bekommen, und damit - unabhängig von den persönlichen Verhältnissen, die grds. Basis für die Besteuerung des Einkommens sind (Prinzip der Leistungsfähigkeit) - auf 26,375 % der Kapitaleinkünfte in jedem Fall verzichten müssen.

    Die Beispielsrechnungen, die zu einem Nachteil als Folge des HEV führen, lassen jedoch oft den positiven Einfluss des HEV auf die Progression unberücksichtigt. Anrechnungsverfahren und HEV werden in der Form gegenüber gestellt, dass man die Ergebnisse mit einem fixen „persönlichen Einkommenssteuersatz“ vergleicht. Das ist aber nicht zutreffend. Denn Anrechnungsverfahren und HEV führen zu unterschiedlichen Einkommenssteuersätzen, weil die Einkünfte aus Kapitalvermögen die Bemessungsgrundlage mit den verschiedenen Verfahren in verschiedenem Umfang erhöhen.

    I.R. des Anrechnungsverfahrens wird die gezahlte Körperschaftssteuer zwar zugunsten des Steuerpflichtigen angerechnet; dafür ist aber auch die gesamte Dividende als Einkommen zu versteuern, und aus einem höherem Einkommen ergibt sich bekanntlich infolge der Progression eine relativ höhere Steuer. I.R. des HEV wird der Kapitalertrag dagegen nur zu (grob gerechnet) 37% angesetzt. Und wenn z.B. statt 100.000 EUR nur 37.000 EUR (zusätzliches) Einkommen zu versteuern sind, hat dies erhebliche Auswirkungen auf den Steuersatz - und zwar auf den Steuersatz für das gesamte Einkommen, nicht nur die Kapitalertäge.

  • Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich Anrechnungsverfahren und HEV isoliert und bei einem Einkommens-Mix auswirken. Grds. ist dabei zu bemerken, dass sich das HEV umso günstiger auswirkt, je höher das Einkommen ist, weil die Anrechnung der Körperschaftssteuer i.R. des Anrechnungsverfahrens durch die als Folge der Progression höhere Einkommenssteuer ausgeglichen bzw. übertroffen wird.



Die Berechnung erfolgt ohne den Pauschbetrag. Teilweise geringfügige Abweichungen der Zahlen von der Grundtabelle ergeben sich aus der genauen Berechnung nach der Formel aus § 32a Abs. 1 und 2 EstG.

Der Abzug der Kapitalertragssteuer und die Anrechnung dieses Abzuges wurde zwecks Vereinfachung ausgespart, weil die besondere Art der Steuererhebung - wie bei der Lohnsteuer - keinen Einfluss auf die Steuerlast hat. Besonders zu beachten ist, dass die abgezogene Kapitalertragssteuer trotz der Halbierung der Werbungskosten in voller Höhe anzurechnen ist.

Auf die Mitberechnung des SolZ wurde nicht verzichtet, um die Auswirkung der Nichtanrechnung des auf die KSt gezahlten SolZ beim HEV darstellen zu können.




Tabelle 1, Besteuerung nach HEV:

ESt + SolZ bei weiterem Einkommen i.H. EUR

rot unterlegt = günstiger

Kapitaleinkünfte nach Abzug d. Sparerfrei-betrages

EUR

Körperschafts-steuer

EUR

SolZ

EUR

Ausschüttung

EUR

zu ver-steuerndes Einkommen

EUR

ESt

EUR

SolZ

EUR

Steuergutschrift i.H. Körper-schafts-steuer und SolZ

EUR

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

10.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

30.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

50.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

10.000

-2.500

-138

7.363

3.681

0

0

entfällt

7.363

1.602

15.760

8.151

29.212

17.064

40.298

20.000

-5.000

-275

14.725

7.362

0

0

entfällt

14.725

2.630

22.095

9.609

35.116

20.563

44.162

30.000

-7.500

-413

22.088

11.043

859

47

entfällt

21.181

3.736

28.351

11.163

40.925

22.546

49.542

40.000

-10.000

-550

29.450

14.725

1.788

98

entfällt

27.564

4.922

34.528

12.781

46.669

24.528

54.922

50.000

-12.500

-688

36.813

18.406

2.783

153

entfällt

33.876

6.200

40.612

14.478

52.334

26.531

60.282

60.000

-15.000

-825

44.175

22.087

3.854

212

entfällt

40.109

7.546

46.629

16.255

57.920

28.514

65.661

70.000

-17.500

-963

51.538

25.768

4.999

275

entfällt

46.263

8.970

52.567

18.130

63.408

30.497

71.041

80.000

-20.000

-1.100

58.900

29.450

6.232

343

entfällt

52.325

10.474

58.426

21.690

67.210

32.479

76.421

90.000

-22.500

-1.238

66.263

33.131

7.529

414

entfällt

58.320

12.073

64.189

22.081

74.182

34.482

81.781

100.000

-25.000

-1.375

73.625

36.812

8.900

490

entfällt

64.235

13.736

69.889

25.656

77.969

36.465

87.160

1.000.000

-250.000

-13.750

736.250

368.125

168.665

9.277

entfällt

558.308

193.773

552.477

204.582

561.668

215.371

570.879

Kapitaleinkünfte nach Abzug d. Sparerfrei-betrages

Körperschaftssteuer

SolZ

Ausschüttung

zu versteuern-des Ein-kommen

ESt

SolZ

Steuergut-schrift

verbleiben

10.000

verbleiben

30.000

verbleiben

50.000

verbleiben


Tabelle 2, Besteuerung nach ANRECHNUNGSVERFAHREN:

ESt + SolZ bei weiterem Einkommen i.H. EUR

rot unterlegt = günstiger

Kapitaleinkünfte nach Abzug d. Sparerfrei-betrages

EUR

Körperschafts-steuer

EUR

SolZ

EUR

Aus-schüttung

EUR

zu ver-steuerndes Einkommen

EUR

ESt

EUR

SolZ

EUR

Steuergutschrift i.H. Körper-schafts-steuer und SolZ

EUR

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

10.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

30.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

50.000

beim Steuer-pflichtigen verbleiben

EUR

10.000

-3.000

-165

6.835

10.000

612

34

3.165

9.355

3.414

16.586

10.717

29.283

21.982

38.018

20.000

-6.000

-330

13.670

20.000

3.236

178

6.330

16.586

6.771

23.229

15.235

34.765

27.386

42.614

30.000

-9.000

-495

20.505

30.000

6.418

353

9.495

23.229

10.717

29.283

21.982

38.018

32.790

47.210

40.000

-12.000

-660

27.340

40.000

10.159

559

12.660

29.283

15.235

34.765

27.386

42.614

38.195

51.805

50.000

-15.000

-825

34.175

50.000

14.441

794

15.825

34.765

21.982

38.018

32.790

44.045

43.580

53.255

60.000

-18.000

-990

41.010

60.000

19.225

1.057

18.990

39.718

27.386

42.614

38.195

45.475

48.984

54.686

70.000

-21.000

-1.155

47.845

70.000

24.079

1.324

22.155

44.597

32.790

47.210

43.580

46.925

54.388

56.117

80.000

-24.000

-1.320

54.680

80.000

28.933

1.591

25.320

49.476

38.195

51.805

48.984

48.356

59.793

57.547

90.000

-27.000

-1.485

61.515

90.000

33.787

1.858

28.485

54.355

43.580

56.420

54.388

65.612

65.177

74.823

100.000

-30.000

-1.650

68.350

100.000

38.623

2.124

31.650

59.253

48.984

61.016

59.793

70.207

70.582

79.418

1.000.000

-300.000

-16.500

683.500

1.000.000

475.123

26.132

316.500

498.745

534.984

475.016

545.793

484.207

556.582

493.418

Kapitaleinkünftenach Abzug d. Sparerfrei-betrages

Körperschafts-steuer

SolZ

Aus-schüttung

zu versteuern-des Einkommen

ESt

SolZ

Steuergut-schrift

verbleiben

10.000

verbleiben

30.000

verbleiben

50.000

verbleiben



Das HEV führt also aufgrund seiner günstigen Auswirkung auf die Progression bei größeren Einkommen zu einer Steuererleichterung, bei kleinen Einkommen dagegen zu einer Erhöhung der Steuerlast. Die Erhöhung der Steuerlast bei kleineren Einkommen wird allerdings dadurch relativiert, dass das HEV faktisch zu einer Verdopplung des Sparerfreibetrages führt (siehe oben).



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