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Gebrauchtreifen vom Schrotthändler – OLG Köln, Urteil vom 7. 11. 2000 – 3 U 100/98

Disclaimer




Das Landgericht stellt insofern zu hohe Sorgfaltsanforderungen an ... Normalkraftfahrer.



OLG Köln, aaO.









Der Weiterfresser vor der Schuldrechtsmodernisierung

Neues zum Weiterfresser? Anmerkungen zum Aufsatz von Prof. Dr. Beate Gsell, NJW 2004, S. 1913 ff.

1. Der Fall (auf die wesentlichen Probleme verkürzt):

Die Klägerin (und Berufungsbeklagte) war mit dem Beklagten (und Berufungskläger) zu 1 in dessen Wagen gefahren.

Dabei löste sich bei einem der nicht mehr verkehrssicheren Reifen die Lauffläche ab. Das Fahrzeug kam ins Schleudern und verunfallte, wobei die Klägerin verletzt wurde. Sie erhob Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Beklagten zu 1 und dessen Versicherung gem. §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, 3 PflVersG.

In ihrer Klage führt sie aus, den Beklagten treffe ein Verschulden an dem Unfall. Er habe die Reifen bei einem Schrotthändler erworben. Er hätte diese Reifen nicht verwenden dürfen, ohne sie vorher von einem Fachhändler untersuchen zu lassen.

Außerdem behauptete die Klägerin, der später geplatzte Reifen habe, was dem Beklagten bekannt gewesen sei, Luft verloren.

Das LG Aachen (1 O 496/96) gab der Klage statt.

Dem folgte das OLG Köln nicht.


2. Entscheidungsgründe: keine schuldhafte Unfallverursachung

a) Von einem "Normalkraftfahrer" kann man nicht verlangen, daß er die bei einem Schrotthändler erworbenen Gebrauchtreifen in einem Fachbetrieb überprüfen läßt. Insoweit besteht kein Verschulden.

b) Weil ein durchschnittlicher Fahrzeughalter das Alter des Reifens aber auch nicht mittels der auf dem Reifen befindlichen DOT-Nummer feststellen und damit Schlüsse auf dessen Gebrauchstauglichkeit ziehen kann, bedeutet auch das Unterlassen eigener Untersuchungen keinen Pflichtverstoß.

c) Schließlich war das Reifenprofil äußerlich gut erhalten. Der Beklagte war also auch insoweit nicht angehalten, die Gebrauchstauglichkeit der Reifen zu bezweifeln bzw. Nachforschungen anzustellen.

d) Allein der Umstand schließlich, dass die Reifen auf einem Schrottplatz erworben wurden, führt nicht dazu, dass der Beklagte die Reifen in einem Fachbetrieb untersuchen lassen musste. Vielmehr durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass "der ihm von dem Händler angebotene Reifen noch gebrauchstauglich, insbesondere verkehrssicher war. Von dem Autoverwerter, dessen Geschäft darin besteht, wiederverwertbare Teile aus Alt- oder Unfallfahrzeugen zwecks Weiterverkaufs auszusortieren und den Rest zu verschrotten, war zu erwarten, dass ihm die Bedeutung der DOT-Nummer geläufig war und er demzufolge Reifen, die wegen zu hohen Alters nicht mehr verkehrssicher waren, nicht mehr an einen privaten Kunden zum möglichen Einsatz im Straßenverkehr weiterverkaufte."

e) Auch dass der Reifen Luft verloren hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach der Beweisaufnahme steht fest, dass der Reifen zwischen dem Erwerb und dem Unfall, d.h. während zwei Monaten, lediglich ein einziges Mal Luft verloren hatte und aufgepumpt werden musste. Der einmalige Luftverlust eines Reifens ergibt aber "keineswegs den Schluss auf einen Mangel des Reifens".

Vom Fahrer könne in einem solchen Fall nicht mehr als eine Nachkontrolle des Reifendrucks vor dem nächsten Fahrtantritt erwartet werden. Dieser Pflicht habe der Beklagte genügt.


iQ: wäre der Unfall nach dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften passiert, wäre die Klage nicht abgewiesen worden, weil es auf das Verschulden nicht angekommen wäre, siehe §§ 7, 8a und 11 StVG.


3. Kommentar


a) Der Beklagte war sicher kein idealtypischer Fahrer. Er hatte nicht nur seine Reifen auf einem Schrottplatz erworben, was generell nicht unbedingt zu empfehlen ist, sondern war auch mit einer schadhaften Bremsanlage unterwegs (die sich auf den Unfallhergang nach Ansicht des Sachverständigen aber nicht auswirkte).

Dennoch ist die Entscheidung richtig. Zwar mag mancher noch nicht einmal auf die Idee kommen, Reifen auf dem Schrottplatz zu erwerben. Immerhin stellen Reifen den Kontakt zur Fahrbahn her und kann einen guten Kontakt an dieser Stelle das beste Fahrwerk nicht ausgleichen. Daher kann man durchaus, wie die Klägerin, auf die Idee kommen, Schadensersatz zu verlangen.

b) Man muss den Fall allerdings abstrahieren. Dann sprechen zwei Argumente für die Sicht des OLG Köln.


aa) Nicht alles ist Schrott auf dem Schrottplatz

Auf einem Schrottplatz kann man nicht nur "Schrott", also Abfall, sondern – meist zu recht günstigen Konditionen – voll funktionsfähige Gebrauchtteile erwerben. Schrotthändler bzw. Autoverwerter demontieren Fahrzeuge, um die noch brauchbaren Teile später zu veräußern. Um festzustellen, ob diese Teile noch brauchbar sind, müssen sie – zumindest allgemein – auf diese Gebrauchsfähigkeit überprüft werden. Weil Fahrzeuge mit nicht gebrauchsfähigen Teilen höchst gefährlich sind, obliegt den Verwertern insoweit eine Verkehrssicherungspflicht. Auf die Wahrnehmung dieser Verkehrssicherungspflicht durch den Verwerter, einen Profi, darf sich der Erwerber von Gebrauchtteilen grds. – d.h. wenn keine Anhaltspunkte gegen die Verkehrssicherheit sprechen – verlassen.


bb) Reifen ist Reifen

Ein Gebrauchtreifen ist ein Reifen, der bereits benutzt wurde. Weil er noch nicht vollständig abgefahren ist, also eine Restnutzungsdauer verbleibt, hat er weiterhin einen Marktwert. Dies gilt uneingeschränkt auch für Gebrauchtreifen, die von einem Schrotthändler erworben werden. Solche Reifen sind keine "Schrott-Reifen", sondern normale Gebrauchtreifen.


iQ: rein gefühlsmäßig mag hier anderes gelten, siehe auch oben 3, a), Abs. 1

Das wiederum bedeutet, dass eine Nachforschungspflicht bzgl. der DOT-Nummer oder die Pflicht, die Reifen in einer Fachwerkstatt untersuchen zu lassen, für sämtliche Gebrauchtreifen gelten müsste. Jeder von privat erworbene Gebrauchtwagen müsste also zunächst zwecks Untersuchung in eine Fachwerkstatt gebracht werden. Das aber kann in der Tat – nicht nur wegen der damit verbundenen Kosten – nicht allgemein erwartet werden, sondern nur dann, wenn besondere Anhaltspunkte vorliegen bzw. wenn der Veräußerer auf Probleme hinweist.



iQ: außerdem könnte die Pflicht zur Veranlassung einer Untersuchung nicht bei den Reifen stehen bleiben. Schließlich gibt es noch jede Menge andere Teile, die für die Sicherheit eines Fahrzeugs essentiell sind, wie Lenkung, Bremsen, Stoßdämpfer etc.

Und schließlich ist zu bedenken, dass die z.B. von den Reifen ausgehende Gefahr ja nicht mit der Veräußerung als Gebrauchtteil verbunden ist, sondern vom vorherigen Gebrauch, der vorherigen Lagerung oder von der Überalterung der Reifen ausgeht. Das wiederum bedeutet, dass eine Prüfungspflicht nicht nur im Fall des Erwerbs besteht, sondern dass man – ggf. in bestimmten Intervallen, jedenfalls aber unabhängig von "besonderen Vorkommnissen" – bei jedem Reifen ab einer bestimmten Gebrauchsdauer in einer Fachwerkstatt Tauglichkeitsprüfungen vornehmen lassen müsste.


Diese allgemeine Tauglichkeitsprüfung wird in Deutschland aber im Rahmen der Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO durchgeführt, nicht auf private Initiative.


cc) Für Schrotthändler/Autoverwerter bedeutet die Entscheidung eine Klarstellung ihrer Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflichten. Teile, die den Schrottplatz zum (Wieder)Einbau in am Straßenverkehr teilnehmende Fahrzeuge verlassen, sind auf ihre allgemeine Tauglichkeit zu kontrollieren. Bei Reifen ist z.B. mittels DOT-Nummer deren Alter festzustellen, Tankbehälter sind auf ihre Dichtheit zu prüfen etc.


iQ: auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Verwerter hätte sich auch die Klägerin berufen können, weil diese Pflicht dem Schutz des Verkehrs und damit auch dem Schutz der Klägerin diente; der Entscheidung des OLG ist nicht zu entnehmen, ob dieser Anspruch verfolgt wurde.

Hanns Jörg Herwig, LL.M.

Dr. iur. Christian L. Masch





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